Offener Brief

Mittels des nachfolgenden offenen Briefs haben wir zunächst versucht, die Bürgermeisterin Kassels Ilona Friedrich auf die Situation der beiden Frauen aufmerksam zu machen und zu bitten, diese offensichtlich ungerechten Zustand zu beenden. Viele Organisationen und Einzelpersonen haben sich angeschlossen und den Brief unterzeichnet. Sie unterstützen damit unsere Forderung, den beiden Frauen endlich eine langfristige Perspektive in Kassel zu geben. Leyla und Meryem gehören zu uns und zur Stadt Kassel.


Offener Brief an die Bürgermeisterin Kassels,
Ilona Friedrich:

Sehr geehrte Bürgermeisterin Ilona Friedrich,

mit diesem Brief fordern wir Sie auf, den Aufenthalt von Leyla und Meryem Lacin in Kassel sofort und vollumfänglich mit allen Rechten und Pflichten anzuerkennen. Angesichts der gegenwärtigen Dramatik ihrer Situation ist sofortiges Handeln seitens der Kasseler und Bayreuther Behörden nötig. Alle nötigen Anträge liegen den Städten Kassel und Bayreuth vor. Beide Städte weigern  sich systematisch, eine gute Lösung für die Situation von Leyla und Meryem zu finden. Die Ausländerbehörde der Stadt Kassel verwehrt sich bis jetzt, den Fall in ihre Zuständigkeit zu überführen. Die Behörden in Bayreuth bearbeiten seit einem halben Jahr gestellte Anträge nicht, die den Fall nach Kassel überführen würden.

DIE PERSPEKTIVE DER FAMILIE LACIN

Die Familie Lacin musste 1988 aufgrund der türkischen Kriegshandlungen gegen die kurdische Zivilbevölkerung ins Exil fliehen und lebt seither durchgehend in Deutschland. Seit August 2011 sind sowohl die Mutter Meryem als auch ihre Tochter Leyla in Kassel zu Hause. Seit sie in Deutschland leben, werden Leyla und Meryem jegliche Ausweismöglichkeiten verwehrt. Das hat zur Folge, dass sie keinen Zugang zu nötiger Grundversorgung haben. So hat Meryem trotz ihres desolaten Gesundheitszustands keine Krankenversicherung. Nachdem sie mehrere Hirn- und Herzinfarkte überlebt hat, musste sie zuletzt mehrere Herzinfarkte zuhause auskurieren. Wir beobachten mit großer Sorge die Verschlechterung ihrer Krankheitssymptomatik und bangen um ihr Leben. Meryem benötigt dringend Medikation und eine langfristige medizinische Behandlung. Das weitere behördliche Wegsehen und Weiterverweisen kann in diesem konkreten Fall tödlich enden.

DIE ZERSTÖRUNG MENSCHLICHER EXISTENZ

Die Unsicherheit und Perspektivlosigkeit, die mit dieser Situation einhergeht, ist für beide psychisch und physisch belastend und im Fall von Meryem akut lebensbedrohlich. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit der beiden Frauen von den Kasseler Behörden zerstört wird. Die Tochter Leyla kommt seit über fünf Jahren komplett selbstständig für den Lebensunterhalt beider Frauen auf, zahlt regelmäßig Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Weil das Hauptzollamt Gießen ihren Arbeitgeber mit Geldbußen massiv unter Druck gesetzt hatte, sieht ihr Arbeitgeber sich aktuell gezwungen, Leyla zu kündigen. Die Lebensgrundlage von Leyla und Meryem zerbricht
damit vollständig.

VERWURZELT IN DER STADT KASSEL, ABER NICHT WILLKOMMEN?

Die Stadt Kassel verweist stets auf die Zuständigkeit der Bayreuther Behörden. Denn dort hatten die Mutter, der inzwischen verstorbene Vater und die fünf Kinder nach ihrer Flucht aus der Türkei 1988 den ersten langfristigen Wohnort in der Bundesrepublik Deutschland. Die Familie hat jedoch darüber hinaus keine Bezüge zu Bayreuth: keine Arbeitsstelle, keine Wohnung, keine sozialen Bezüge. Dennoch bleiben die Behörden in Bayreuth und Kassel untätig, sodass eine Verantwortungsüberführung bislang gescheitert ist. Und das, obwohl beide seit 10 Jahren ihre Hauptmeldeadresse in Kassel haben, hier arbeiten, Steuern zahlen und einen weitreichenden Freundes- und Bekanntenkreis haben. Leyla und Meryem sind in den vergangenen neun Jahren ein wichtiger Teil der Kasseler Stadtgesellschaft geworden und Leylas zivilgesellschaftliches Engagement wird sehr geschätzt. Wir wollen nicht dabei zusehen, dass zwei Bürgerinnen dieser Stadt gezwungen werden, in eine andere Stadt zu ziehen, zu der sie keinen Bezug haben, um grundlegende Rechte genießen zu können. Gedient ist damit niemandem. Vielmehr werden durch einen Umzug nach Bayreuth neue Probleme geschaffen, wo bisher keine sind: durch den Verlust des Arbeitsplatzes, des Zuhauses und vor allem des sozialen Umfeldes stünden die beiden Frauen nach Jahrzehnten wieder vor dem Nichts.
Indem die Bayreuther Behörden die entsprechenden Papiere aushändigen und die Ausländerbehörde der Stadt Kassel den Fall in ihre Zuständigkeit überführen würde, würde den beiden endlich das Recht auf ein gesichertes Leben, medizinische Grundversorgung und eine langfristige Perspektive gegeben. Das sind Grundrechte, die der Familie Lacin als Kasseler Bürgerinnen zustehen.

Wir sehen die Stadt Kassel ganz klar in der Verantwortung, die Zuständigkeit für die beiden Frauen zu übernehmen und sie als gleichwertige Bürgerinnen der Stadt Kassel zu behandeln.
Von der Stadt Bayreuth erwarten wir eine schnellstmögliche Ausstellung von Aufenthaltstiteln (oder Duldungspapieren) sowie einer Arbeitserlaubnis für Leyla sowie die Zustimmung zur dauerhaften Wohnsitznahme in Kassel. Wir fordern Sie auf, den Fall von Leyla und Meryem sofort von Bayreuth in die Zuständigkeit der Stadt Kassel zu überführen.

WIR FORDERN IM NAMEN DER MENSCHLICHKEIT:
Regeln Sie die Zuständigkeit für Leyla und Meryem Lacin, sodass beide in Kassel bleiben können!